Diaspora
Diaspora bezeichnet die Zerstreuung von Menschen, die ihre Heimat verlassen haben und als Gemeinschaft in verschiedenen Ländern verbunden bleiben.
Definition
Der Begriff Diaspora stammt aus dem Altgriechischen und bedeutet „Zerstreuung“. Ursprünglich bezeichnete er eine Gruppe von Menschen, die ihre Heimat meist unfreiwillig verlassen mussten und über mehrere fremde Länder verstreut lebten. In der Geschichte wurde der Begriff vor allem auf das jüdische Volk bezogen, das im Exil außerhalb des angestammten Heimatlandes lebte. Heute wird Diaspora zunehmend für verschiedene Gruppen von Migrantinnen und Migranten verwendet, die sich durch gemeinsame ethnische, nationale, religiöse oder kulturelle Identitäten auszeichnen und trotz ihrer Zerstreuung starke Bindungen zu ihrem Herkunftsland und untereinander bewahren. Diese Gruppen leben oft generationenübergreifend in verschiedenen Ländern als Minderheiten, halten ihre Traditionen und kulturellen Praktiken aufrecht und entwickeln eigene Netzwerke und soziale Strukturen.
Diasporagemeinschaften zeichnen sich durch kollektive Erinnerungen oder Mythen an das Herkunftsland aus. Sie empfinden dieses häufig als die wahre Heimat und hegen den Wunsch nach einer Rückkehr oder zumindest eine enge emotionale Bindung daran. Gleichzeitig ist die Geschichte der Flucht, Vertreibung oder Migration häufig von Traumata geprägt, die das Selbstverständnis der Gemeinschaften beeinflussen. Diasporische Identitäten entstehen im Spannungsfeld zwischen diesen Herkunftsbezügen, Geschichte, Solidarität innerhalb der Gruppe und den Lebensbedingungen im Gastland. Die Zugehörigkeit wird meist in Familienzusammenhängen über Generationen weitergegeben, wobei sich die Inhalte und Bedeutungen von Zugehörigkeit situativ verändern können.
Wissenschaftlich wurde der Diaspora-Begriff durch Forscher wie William Safran und Alois Mosmüller systematisiert. Safran stellte sechs Kriterien auf, darunter die Zerstreuung aus einem Ursprung, das Aufrechterhalten eines kollektiven Mythos des Herkunftslandes, der Wunsch oder die Erwartung der Rückkehr, sowie das Gefühl der Unvollständigkeit oder Entfremdung im Gastland. Mosmüller ergänzte diese Kriterien um soziale und kulturelle Aspekte wie das Vorhandensein von Institutionen zur Bewahrung der Gruppenidentität, die Entwicklung eigener Werte und Praktiken sowie transnationale Solidarität und Netzwerke. Der Politikwissenschaftler Robin Cohen differenzierte verschiedene Typen von Diaspora, wie z.B. Opfer-Diaspora mit traumatischer Vertreibungsgeschichte, Arbeitsdiaspora aufgrund von Arbeitsmigration, imperiale Diaspora aus kolonialen Kontexten, Handelsdiaspora oder kulturelle Diaspora, die meist deterritorialisiert ist.
Kritik an dem Begriff
Kritisch wird der Begriff Diaspora vor allem dann betrachtet, wenn er als festes, unveränderliches Identitätskonstrukt verstanden wird. Neuere Ansätze betonen stattdessen Diaspora als eine dynamische Praxis, bei der sich Gemeinschaften situativ als Diaspora konstituieren und ihre Identitäten flexibel gestalten. Dabei wird auch die politische Dimension des Begriffs hervorgehoben, weil Diasporagruppen häufig sowohl an ihrem Herkunftsland als auch am Gastland orientierte Loyalitäten haben und sich politisch engagieren. Zudem wird in Wissenschaft und Politik diskutiert, wie Diaspora als Selbstbezeichnung oder Fremdzuschreibung verwendet wird und welche Auswirkungen dies auf Integration und Transnationalismus hat.
Insgesamt bietet der Begriff Diaspora einen umfassenden Rahmen, um die komplexen sozialen, kulturellen und politischen Aspekte von Gemeinschaften zu erfassen, die über verschiedene Länder verteilt leben, ihre Herkunft und Identität jedoch weiterhin verbinden. Diese Vielschichtigkeit macht ihn zu einem wichtigen, aber auch viel diskutierten Konzept in den Migrations- und Identitätsstudien.